Praxis: Beispielsituationen

Die Kursleiter*innen verfügen über ein vielfältiges Repertoire an Impulsen und Methoden zur Erarbeitung von Themen, die sich an den Teilnehmer*innen ausrichten. Die genannten Beispiele sind demnach exemplarisch und variieren in der Praxis.

Aktives Zuhören

Die Kursleiter*in spielt den Teilnehmer*innen eine kurze Szene in zwei Varianten vor. Auftrag an die Eltern: “Beobachten Sie die folgende Szene. Versuchen Sie herauszufinden, wie sich das Kind in der Situation fühlen könnte.”

Situation:
Abends, 18 Uhr, der Vater ist gerade dabei, Brot für das Abendessen zu schneiden.
Jens, 12 Jahre alt, kommt vom Fußballtraining nach Hause. Er wirft seine Sporttasche quer über den Flur und ruft: “Der Trainer ist voll blöd!”

Variante A
Vater: “Wie redest du denn über deinen Trainer, der ist der beste im ganzen Verein! Und wirf deine Tasche nicht so rum! Du weißt genau, dass du das nicht sollst! Komm jetzt erst mal zum Abendessen. Ich muss nachher noch weg.”
Der Vater schneidet dabei – vom Sohn abgewandt – weiter das Brot.

Fragen in die Runde: Wie fühlt sich der Sohn? Wie hat der Vater reagiert? Was genau hat er gesagt? Wie war seine Körperhaltung? Können sie in Ruhe zusammen essen?

Die Teilnehmer*innen analysieren gemeinsam, wie sich Körperhaltung, mangelhaftes Zuhören und die Äußerungen des Erwachsenen auf die Beziehung und das Gefühl des Kindes auswirken, erinnern sich, wie sie sich selbst als Kind manchmal gefühlt haben.

Variante B
Gleiche Situation.
Vater wendet sich dem Sohn zu und hört auf, das Brot zu schneiden.
Vater: “Du bist ja richtig wütend.”
Sohn: “Ja, der hat gesagt, ich soll besser aufpassen und nicht immer mit Oliver reden!”
Vater: “Was war denn los?”
Sohn: “Ach, Oliver hat immer gerempelt, wenn der Trainer nicht geguckt hat. Auf den bin ich sowieso sauer, wir hatten in der Schule schon Streit!”
Vater: “Hm. Und nun?”
Sohn: “Ich bin immer noch sauer. Mal sehen, vielleicht klär ich das morgen mit Olli in der Schule. Gibt’s nur Brot? Haben wir nicht noch Pizza?”

Fragen an die Teilnehmer*innen:
Wie fühlt sich der Sohn? Wie hat der Vater reagiert? Was genau hat er gesagt?
Wie war seine Körperhaltung? Können sie in Ruhe zusammen essen?
Wie viel mehr Zeit hat dieses Gespräch gedauert? Wie hoch ist der Preis für ein entspannteres, verständnisvolleres Miteinander?

Die Teilnehmer*innen tragen zusammen, was sie wahrgenommen haben. Sie sind überrascht, wie sich das Kind plötzlich ernst genommen fühlte, wie positiv sich eine zugewandte Haltung, Blickkontakt und das Ansprechen der Gefühle auswirkten und dass diese Art des Zuhörens kaum mehr Zeit in Anspruch nahm.

Weitere Frage ins Plenum:
“An welche Situationen erinnere ich mich aus meiner Kindheit?
Wie habe ich es als Kind erlebt?”
Während des lebhaften Austausches werden den Teilnehmer*innen auch ihre eigenen Reaktionen auf Äußerungen ihrer Kinder deutlich.

Im weiteren Verlauf diskutieren die Teilnehmer*innen hilfreiche Kriterien für Aktives Zuhören, Signale, die das Kind verunsichern, die Wirkung offener Fragen und die Gefahr bei Warum-Fragen und bekommen die Thesen für ihre Mappe ausgehändigt.
Am Beispiel von Alltagssituationen üben die Teilnehmer*innen in Kleingruppen das Zuhören in wechselnden Rollen.

Erfahrungsspielräume und Grenzen

Kinder brauchen Erfahrungsspielräume, lernen durch Tun, Versuch und Irrtum.
Frage. “Wie groß müssen/dürfen “Erfahrungsräume” sein?
Welche Grenzen brauchen Kinder, um sich sicher und geschützt zu fühlen?”

Übung zur Wahrnehmung:
Teilnehmer*innen stellen sich vor, sie wären drei Jahre alt.
Ihnen steht eine durch einen Schutzzaun begrenzte “Erfahrungs-Fläche” zur Verfügung. Sie befinden sich allein auf dieser Fläche.
A: 1 m²
B: 10 m²
C: 100 m²
D: Fußballfeld
Zu jeder einzelnen Flächenangabe die Fragen:
“Wie fühlen Sie sich?”
“Was würden Sie am liebsten tun?”

Weitere Varianten: Teilnehmer*innen stellen sich vor sie wären 10 Jahre/15 Jahre alt.
In der Reflexion machen die Teilnehmer*innen deutlich, wie zu weiter Raum (Fußballfeld) verunsichert und lähmen kann. Gleichzeitig schildern sie, wie zu enger Raum die Luft nimmt und den Impuls auslöst, auszubrechen.

Durch die eigenen Erfahrungen als Kind wird den Eltern im Fortlauf des Abends deutlich:
Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, ist ein Prozess des Ausbalancierens zwischen den Polen

  • Herzenswärme in einer tragfähigen Beziehung,
  • Freiräume für Erfahrungen,
  • Sicherheit durch Regeln und Grenzen.

Was Kinder im Laufe ihrer Entwicklung brauchen und wie viel Eltern ihnen zutrauen können, fließt in die nachfolgenden Kurseinheiten mit ein: Folgen, Konsequenzen und klare Aufträge und Erwartungen.
Arbeitsform: gemeinsame Sequenzen im Plenum und das Erarbeiten in Kleingruppen.

Das Elterndasein genießen

Eine Voraussetzung für einen entspannten Dialog, partnerschaftliches Verhandeln und das Finden kreativer Lösungen besteht darin, das Kind in seiner Gesamtheit wahrzunehmen, zu respektieren, zu schätzen und sich an seiner Entwicklung erfreuen zu können.

Dazu eine Wahrnehmungsübung mit dem Ziel, für die vielfältigen beachtenswerten Eigenarten und Fähigkeiten des eigenen Kindes zu sensibilisieren:
Auf einer Flipchart ist ein ca. 2 cm großer Kreis gezeichnet.

Die Frage an das Plenum lautet: “Was sehen Sie?”. “Einen Punkt” kommt prompt als Antwort. Es dauert meist etwas, bis die Teilnehmer*innen beschreiben: “Ein Plakat, rechteckig, hochkant, weiß, kariert, mit einer eingerissenen Ecke usw.” “….und irgendwo ist auf diesem Plakat ist auch ein kleiner Punkt zu sehen.”
Erklärung: So geht es uns auch manchmal mit unseren Kindern. Wir sehen das, was uns stört und verlieren aus dem Auge, was unser Kind gerade zu diesem besonderen Kind macht.

 Aufgabe für die Teilnehmer*innen:
Jede*r für sich schreibt oder zeichnet auf einem vorbereiteten DIN A 4- Blatt in den kleineren Kreis von 2 cm Durchmesser hinein, was sie/ihn bei ihrem/seinem Kind ärgert, stört, sorgt.

Auf die übrige große Fläche des Blattes schreiben/zeichnen die Teilnehmer*innen alles, was sie an ihrem Kind schätzen, was bemerkenswert ist, was seine Besonderheit ausmacht, was sie von ihm/ihr lernen könnten etc.

Nach den ersten Bedenken, dass in den winzigen Kreis nicht alles Störende hineinpasse, und nach der ersten Hemmung, das große Blatt zu füllen, erleichtert diese Übung Erziehenden einen wesentlichen Blickwechsel und wird zu einer wertvollen Möglichkeit, auch in späteren Situationen, das Kind (wieder) in seiner Ganzheit wahrzunehmen.